Manuela Netzer-Kormann, Chefin Nachwuchs SWISSCURLING
PISTE – Zauberwort für die einen, Unwort für die anderen. Vor gut 15 Jahren hat Swiss Olympic diesen neuen Selektionsansatz eingeführt, der einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Talentselektion im Schweizer Sport leisten sollte. Um aufgrund des vergleichsweise kleinen Talentpools der Schweiz international konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Talentselektion und -förderung besonders effizient durchgeführt werden. Dank PISTE hat sich die Talentselektion in den Schweizer Sportverbänden in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt, was auch auf internationaler Ebene zu Beachtung führte. Dabei ist das Know How in den Sportverbänden bezüglich der Talententwicklung stark gewachsen.
PISTE ist eine Selektionsphilosophie: Nicht die aktuell, sondern die zukünftig Besten, sollen gefördert werden. Entscheidend dabei ist die Potenzialeinschätzung des Trainers: Welcher Athlet, welche Athletin hat das Zeug dazu, den Weg bis an die Spitze zu gehen? Nicht Erfolge an regionalen oder nationalen Nachwuchswettkämpfen, sondern Medaillen an Elite-EM, -WM und Olympischen Spielen sollen das Ziel sein.
PISTE hat nichts mit der Skipiste zu tun, sondern steht für die folgenden Schlagwörter:
- Prognostisch sich an der zukünftigen Leistung im Elitealter und nicht am aktuellen Leistungsstand orientieren
- Integrativ verschiedene für zukünftige Leistungen relevante Faktoren einbeziehen
- Systematisches und standardisiertes Vorgehen ermöglichen
- Trainer als wesentliche Kompetenzträger einbeziehen
- Einschätzungen der Trainer als Beurteilungsmethode nutzen
Die Selektion im Nachwuchsbereich von SWISSCURLING wurde aufgrund knapper Ressourcen in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt redimensioniert. Die Athletinnen und Athleten wurden als gesamtes Team in eine Kaderstufe selektioniert und alle erhielten dieselbe Swiss Olympic Talent Card zugesprochen. Die Selektion erfolgte schliesslich hauptsächlich aufgrund des Meisterschaftsresultates. Zwei Punkte, mit denen Swiss Olympic nicht zufrieden war. Der im Jahr 2022 von Swiss Olympic erteilte Auftrag brachte eine grundlegende Überarbeitung der Talentselektion in Gang. In der Saison 2024/25 wurde bei SWISSCURLING erstmals nach den neuen Richtlinien getestet und am 1. Juni werden die Karten erstmals nach neuem System vergeben. Folgende Ziele wurden verfolgt:
- Prozess- statt Resultatorientierung
- Individual- statt Teamselektion
- Erfolgreicher Übertritt in die Elite-Kategorie
- Trainer:innen als wesentliche Kompetenzträger miteinbeziehen
Der Biologische Entwicklungsstand (BES) und das Relative Alter (RA) der Juniorinnen und Junioren werden als Korrekturmassnahme erfasst, so dass möglichst ausschliesslich das Potenzial für eine Selektion ausschlaggebend ist.
Folgende Parameter zählen ab Saison 2024/25 für die Selektion:
- Wettkampfresultat (Resultat in der höchsten zu wertenden Liga)
- Aktuelle Leistung sportmotorischer Test (Testverfahren)
- Aktuelle Leistung sportspezifischer Test (Testverfahren)
- Psyche/Mindset (Fragebogen)
- Belastbarkeit (Trainingstagebuch)
- Umfeldorganisation (Trainingstagebuch)
- Alter/Trainingsaufwand (Trainingstagebuch)
Der Einstieg in das Kaderprogramm von SWISSCURLING ist ausschliesslich über das Lokalkader möglich. Einerseits erfolgt dies, damit die Ausbildung der Athlet:innen durchgängig gewährleistet werden kann. Andererseits vergibt Swiss Olympic nur in gut begründeten Ausnahmefällen direkt eine Talent Card Regional. Für die Neuaufnahme in das Lokalkader muss die Nachwuchsathletin mindestens 11, aber maximal 16 Jahre alt sein. Damit ein:e Athlet:in ins Lokalkader aufgenommen wird, muss er:sie sich mit einer vollständigen Bewerbung innerhalb des vorgegebenen Zeitraums anmelden und im Mai den sportmotorischen Test in einem der vier Lokalkaderstandorte absolvieren.
Eine der Leitideen von PISTE ist, dass möglichst breit gefördert und damit nur selektioniert wird, falls nötig. Es ist klar, dass eine frühzeitige, nachhaltige Förderung von Nachwuchsathlet:innen entscheidend für spätere Eliteerfolge ist. Mit der neuen individuellen Selektion verfolgt SWISSCURLING das Ziel, die Ressourcen möglichst in die richtigen Athlet:innen zu investieren. Athlet:innen im Curlingsport auf individueller Basis zu fördern, hat allerdings seine Grenzen. Ressourcentechnisch ist dies zum einen sehr aufwändig, andererseits ist das Team im Curling ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Die knapp bemessenen Ressourcen würden bei einer Förderung der Individualathlet:innen wenig sinnvoll eingesetzt und zu stark verpuffen. SWISSCURLING verfolgt deshalb weiterhin die Strategie, in den verschiedenen Kadergefässen zum grössten Teil Teams zu fördern.
Nicht nur die Nachwuchsathletinnen und -athleten erwarten die erste Selektion nach neuen Grundlagen gespannt, auch die verantwortlichen Coaches freuen sich, wenn der erste Zyklus abgeschlossen ist und die Selektion geklappt hat.