Liebe Marianne, wann und wie bist du zum Curling gekommen und was hat dich daran fasziniert?

Den Curling-Virus hat mir meine Familie weitergegeben. Im Winter 1979 besuchte ich zum ersten Mal das Juniorentraining in der Curlinghalle Wallisellen, und es hat mir sofort gefallen. Klar kannte ich das Spiel bereits von meinem Vater und Bruder, aber selbst spielen macht einfach mehr Spass. Schon 1984 wurde ich zum ersten Mal Juniorinnen-Schweizermeisterin und durfte an der Europameisterschaft in Schottland teilnehmen. Da wir knapp an den Medaillen vorbeispielten, wollten wir es unbedingt besser machen und intensivierten das Training – mit Erfolg! Im Folgejahr wurden wir in Hamburg Juniorinnen-Europameister. Die Kombination aus Technik, Taktik und Teamzusammenspiel faszinierte mich schnell. Mein Ehrgeiz war geweckt und ist geblieben!

 

Wie gross war dein Aufwand damals, wie sah der Trainingsalltag aus?

Im Vergleich zu heute war der Trainingsaufwand eher gering. Wir trafen uns als Team einmal wöchentlich in Wallisellen zum gemeinsamen Training. Individuell trainierten wir meines Wissens nicht. Ebenso hielten wir uns zurück, was Kraft und Ausdauer betraf. Hingegen spielten wir im Schnitt alle zwei Wochen ein Turnier; damals wurden die Eliteturniere noch über drei Tage durchgeführt. Hier holten wir unsere «Spielkondition» ab.

  

Der Übertritt zur Elite gelang dir nahtlos: Gleich im ersten Jahr folgte der Schweizermeistertitel bei den Frauen und eine Bronzemedaille an der Weltmeisterschaft. Was war das Rezept für diesen perfekten Übergang?

Unser Team war unbekümmert und hatte nichts zu verlieren. Natürlich half auch der Erfolg aus Hamburg. Wir kannten unsere Stärken und konnten diese offensichtlich gut einsetzen.

 An der Schweizermeisterschaft hatten wir zum Schluss auch das notwendige Wettkampfglück; mein letzter Draw zum Titel war nur knapp 3 Zentimeter besser als der gegnerische Stein.

An der Weltmeisterschaft in Lake Forrest waren wir die Neuen, mit wenig internationaler Spielerfahrung. Dadurch wurden wir anfangs der Round Robin etwas unterschätzt. Dank Siegen in den ersten vier Spielen gegen Frankreich, Kanada, Schweden und Schottland kamen wir in eine positive Aufwärtsspirale. Das tat gut, und auch die Kanterniederlage gegen Norwegen konnte unseren Lauf nicht stoppen. Es wäre wohl etwas vermessen zu glauben gewesen, im selben Wettkampf gleich zweimal gegen Kanada gewinnen zu können, doch immerhin konnten wir uns im Bronzespiel gegen Norwegen für die Round Robin-Niederlage revanchieren und den dritten Rang erspielen. Abschliessend kann ich das Rezept wie folgt beschreiben:

Selbstvertrauen, Vertrauen ins eigeneTeam, gute Vorbereitung/Betreuung und die nötige Portion Wettkampfglück im richtigen Moment haben uns zu diesem Erfolg verholfen.

Du warst weitere zehn Jahre immer vorne dabei in den Meisterrennen, an der Heim-EM 1989 in Engelberg gab es eine Silbermedaille zu feiern. An der EM 1996 in Kopenhagen folgte Gold – als Vizeskip im damaligen Team von Mirjam Ott. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Lustige Geschichte: Ich kam im April 1996 von meiner Weltreise zurück, und kurz darauf bekam ich einen Anruf von Mirjam. Ihre Nummer drei, Manuela Kormann, hatte für die EM-Qualifikation ein Terminproblem, und Ersatz musste her. Trotz fehlender Spielpraxis während der vergangenen 18 Monate wollte das Team eine Zusammenarbeit, und so stürzte ich mich intensiv in die Vorbereitungen – zuerst konditionell, dann eistechnisch. Hier half sicher meine mittlerweile langjährige Erfahrung, um schnell wieder in den Curlingsport reinzukommen. Ich glaube, die EM-Quali gewannen wir nur knapp. An der EM in Kopenhagen war die Situation ähnlich wie ich sie bereits von Lake Forrest kannte: Wir waren die No-Names im Teilnehmerfeld, und als die anderen Teams unsere Stärken erkannten, standen wir bereits im Final … und gewannen diesen klar gegen Schweden.

Auch an der Heim-WM 1997 in Bern kamst du erneut im Team von Mirjam Ott zum Einsatz, danach war für dich vorerst Schluss mit Curling. Was hat dich bewogen, mit dem Spitzensport aufzuhören?

Mein Privatleben. Während unserer Weltreise planten wir bereits die Hochzeit im Mai 1997. Einzig eine Qualifikation für die Olympischen Spiele in Nagano 1998 hätte diesen Plan noch durchkreuzen können. Hat nicht sein sollen, dafür bin ich heute stolzes Mami von zwei Söhnen mit den Jahrgängen 1998 und 2000.

Rund zehn Jahre später gab’s ein Comeback an der Schweizermeisterschaft, es reichte jedoch nicht mehr bis aufs Podest. Wie hast du diese Erfahrung erlebt und welche Erwartungen hattest du?

Die Erwartungen waren gross – mein Ehrgeiz hatte auch zu jener Zeit nicht nachgelassen. Auf die gemachten Erfahrungen hätte ich aber gerne verzichtet. Der Curlingsport hatte sich sehr geändert, diese Wandlung hatte ich leider verpasst. Das Team war super, unsere Leistungen haben aber ganz klar nicht gereicht, um auch nur annähernd in den Medaillenentscheidungen mitzumischen. 

Du bist unserem Sport als aktive Curlerin immer treu geblieben, hast diverse Breitensport- und Open Air-Turniere gewonnen und hast dich auch sonst mit viel Herzblut engagiert: Du warst zeitweilige Präsidentin der Züricher Superliga, bist im Vorstand des CC Kloten – und hast die Gehörlosen-Nationalmannschaft im Dezember 2019 als Delegationsleiterin an die Deaflympics in Madesimo/Italien begleitet. Wie kam es dazu? 

In diese Aufgabe bin ich per Zufall gerutscht. Nach einem Trainingsspiel gegen die Gehörlosen-Nati im Februar 2018 – für deren Vorbereitung für die in Schaffhausen stattfindende Europameisterschaft der Gehörlosen – fragte mich der Verantwortliche von Swiss Deaf Sports (SDS), ob ich mir eine Aufgabe in ihrem Verband vorstellen könnte. Da mich neue Aufgaben immer reizen, musste ich nicht lange überlegen und sagte zu. Obwohl zum Nati-Team der Gehörlosen immer ein Dolmetscher gehört, hatte ich den Anspruch an mich selbst, mit den Personen direkt und ohne Dolmetscher kommunizieren zu können. So stellte ich mich der Herausforderung, die Gebärdensprache zu lernen. Auch heute spiele ich im Interclubturnier der Halle Wallisellen sowie an der kantonalen «Fical – die Liga»-Meisterschaft immer noch mit zwei gehörlosen Curlern zusammen.

Rückblickend auf deine bisherige Curlingkarriere: Was war das absolute Highlight?

Puh, schwierige Frage! Seit 1979 spiele ich Curling und durfte unzählig viele tolle Erlebnisse mitnehmen. Nur eines davon herauszupicken, kann ich nicht, das wäre auch nicht fair. Es gibt in meiner langen Karriere verschiedene Abschnitte, vom Juniorenalter bis hin zum Seniorenalter. Von all diesen Teilen gibt es bleibende Erinnerungen. Wenn ich aber so darüber nachdenke, war es etwas Besonderes, als ich mit meinen beiden Jungs das erste Curling-Turnier – nicht plauschmässig, sondern mit Ehrgeiz und Spiellizenz – spielen durfte. Ja, dieser Moment ist DAS Highlight meiner Karriere.

Und was sind deine Pläne für die Zukunft? Gibt es nochmals eine Medaille – eventuell bei den Seniorinnen?

Eigentlich plane ich nicht so gerne, ich lebe lieber spontan und bleibe dadurch flexibel. Aber natürlich, im Curling muss ich die Turniere in meinen Kalender einplanen, und da steht klar auch die Seniorinnenmeisterschaft drin, welche diese Saison sogar in Wallisellen gespielt wird. Wäre ja schade, wenn hier nicht mein Ehrgeiz durchbrechen würde. Zusammen mit meinem Team habe ich mir gewisse Ziele gesetzt.

Bleibende Erinnerung: Die Silbermedaillen-Gewinnerinnen der EM 1989 in Engelberg, verbrieft und signiert.

Bleibende Erinnerung: Die Silbermedaillen-Gewinnerinnen der EM 1989 in Engelberg, verbrieft und signiert.

Durch Curling entdeckte Marianne Flotrondie Welt der Gebärdensprache (Foto:
SGB-FSS/Schweizer Gehörlosenbund).

Durch Curling entdeckte Marianne Flotron die Welt der Gebärdensprache (Foto: SGB-FSS/Schweizer Gehörlosenbund).

 

 

 

 

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